Hier zwischendurch mal ein ganz interessanter Einblick von unserem Kollegen Martin Schmidtner:

Das hatten wir uns eigentlich nicht mal erträumen können: einmal im Backstage-Bereich der ESC-Bühne zu stehen, einmal in einer Sesselgruppe des Greenrooms Platz zu nehmen und die Halle zwei Tage vor allen anderen akkreditierten Pressevertretern erkunden zu können. Doch das ist eben Eurovision: Big Dreams, Big Feelings! Und dank der Vermittlung von Michael Goetz-Pijl von Eurovision Groupies hat uns heute Mittag der Stage Project Manager des Song Contests Marco Kempen, mit dem wir gestern schon im Interview über seine Arbeit gesprochen hatten, einen im wahrsten Sinn des Wortes Blick hinter die Kulissen gewährt.

Es herrschte gerade Ruhe, fast die gesamte Produktion war zur Mittagspause, aber der „Arch“, die geschwungene Bühnenkrone und der LED-Hintergrund war erleuchtet und zeigte das Motto des ESC „Celebrate Diversity“ in ukrainischen Blau-Gelb. Spannend: während die Farben der LED-Wand in hoher Intensität erstrahlten, wirkte das Blau-Gelb auf dem „Arch“ aus Aluminium und Molton eher abgedämpft und fast etwas stumpf – so zumindest der Eindruck aus der Halle. Doch auch dies ist eben genau auf die Kameras abgestimmt – am Bildschirm wird damit ein einheitlicher Farbton in einheitlicher Leuchtkraft erzeugt.

Ein rot-weißer Fesselballon stand auf der Bühne bereit…eventuell für die Rumänen, die nach der Mittagspause jodeln werden.

Trotz der in ESC-Zahlen geringen Kapazität von 7000 Zuschauerplätzen wirken Bühne und Halle viel, viel größer als auf den Bildern. Marco erzählt und zeigt uns, wo er überall mit seiner niederländischen Firma aus Hilversum am Werk war. Trotz Vorproduktion und detaillierter Planungen ergab sich vieles erst beim Aufbau. So musste innerhalb eines Tages ein neuer Fußbodenbelag in der gesamten Halle verlegt werden und immer, wenn sich beispielsweise Kamerapositionen im Gegensatz zur Planung änderten, musste eben schnell mal eine zusätzliche Verschalung oder gleich eine ganze Treppe gebaut werden. Auch wollte man den Künstlerinnen und Künstlern ungern den eventuellen Weg zur Toilette aus dem Greenroom über die Showtreppe zumuten – also musste schnell ein zweiter Ausgang her. Die Verschalung für das EBU-Präsidium und den Oberschiedsrichter Jon Ola Sand erwies sich als zu hoch geplant und die Stühle zu niedrig: damit Herr Sand die nötige Geltung verschafft wird, mussten eben schnell noch Podeste gebaut und Verschalungen abgesenkt werden. Und, und, und….
Was dies heißt, konnten wir während der Führung hautnah miterleben: ein Mitarbeiter eines anderen Produktionsbereichs kam zu Marco Kempen und erklärte, dass der Nebel während des österreichischen Songs sich leider in den Kameragraben absenken würde und die Positionsmarkierungen für die Kameraleute verdecke. Ob man nicht einfach ein paar Löcher in den Molton bohren könne, damit der Rauch abziehe? Nun – so einfach geht es natürlich nicht, aber dem holländischen Troubleshooter wird ganz sicher auch da eine Lösung einfallen. („Wer von klein auf mit Camping groß geworden ist, richtet sich überall ein und findet für alles Lösungen“ meint er selbstironisch und augenzwinkernd).

Hinter der Bühne kommen wir aus dem Staunen kaum raus: kilometerlange Kabelschächte, Kabelstränge und Kabel verschiedenster Dicke allüberall – wer behält da eigentlich den Überblick?!

Neben der Bühne werden die Requisiten gelagert, die dann in den Umbaupausen der Show von rechts über eine leicht ansteigende Rampe auf und hinterher über eine stärker abfallende Rampe wieder von der Bühne gerollt werden.
Hinter der Bühne hat die niederländische Truppe ihre Werkstatt: ein Computerterminal für die Kommunikation und mehrere Werkbänke für letzte Schneide- und Fräsarbeiten. Die Kollegen von Marco sind natürlich noch bei der Arbeit. Gerade die ersten Bühnenproben erfordern schnelle Nachbesserungen – ein Podest für eine Windmaschine wird aktuell gerade aus dem Hut gezaubert.

Ein Stück weiter hinten wird es ruhiger. Hier stehen Holzkabinen in Containergröße und -abmessung, die als Sozialräume genutzt werden können. „Temorarily Dutch Embassy“ steht auf einem Schild. Im Pausenraum stehen Sessel und eine Couch, an den Wänden hängt eine große niederländische Fahne und für den einen deutschen Mitarbeiter auch eine kleine deutsche Flagge. Dazwischen Bilder der Königsfamilie und der Mädels von OG3NE, die für die Niederlande an den Start gehen. Um 14.20 h werden sie zum ersten Mal die Bühne betreten und Marco Kempen und seine Mitarbeiter freuen sich schon riesig, sie kennenzulernen. Doch zuvor haben auch sie erst mal Mittagspause. Gerade bei einem Job, der über sieben Wochen beständige Anspannung und Stress bereithält, ist es umso wichtiger, zusammenzuhalten, gut für sich zu sorgen und eine Rückzugsmöglichkeit zu haben. In dem holländischen Aufenthaltsraum fühlt man sich auch gleich zuhause.

Dank an Michael und Marco für den großartigen Einblick!

Martin Schmidtner

Marco Kempen, der sich eine Pause verdient und tolle Arbeit geleistet hat